Dr. Otto Heinrich Ludwig Wagner (1877 – 1962) war Gründungsmitglied des RC Breslau, dessen Mitglied er von 1930 bis Januar 1934 war.

Wagner stammte aus einem Lehrerhaushalt, wuchs in einfachen Verhältnissen in Apolda auf und absolvierte das Gymnasium in Weimar. Ab 1896 studierte er – mit Ausnahme eines Semesters in Leipzig – Rechtswissenschaften im nahen Jena, wo er 1899 sowohl das erste Staatsexamen machte als auch promoviert wurde. Nach dem Assessorexamen 1903 arbeitete er in der Bezirksdirektion Apolda. 1904 wechselte er in den Justizdienst und wurde 1905 zum zweiten Bürgermeister von Jena gewählt. 1907 lernte er auf einer Schiffsreise Katharina Schwartz (1886 – 1958) kennen, eine Pastorentochter aus Breslau, die er 1908 heiratete, nachdem er in Breslau zum besoldeten Stadtrat gewählt worden war. Das Ehepaar bekam fünf Kinder (1909 Susanne, 1911 Helmut, 1915 Annemarie, 1919 Eva, 1923 Eberhardt). Im Dezember 1918 wurde er für die Amtsperiode von zwölf Jahren zum Oberbürgermeister gewählt. In seine Amtszeit fielen Maßnahmen zur Industrieförderung, eine wesentliche Stadterweiterung (1928) und die Zunahme der Einwohnerzahl auf über 625.000 (1933). Wachsendes Ansehen begleitete seine erfolgreiche Amtsführung, die TH Breslau verlieh ihm die Würden eines Ehrensenators (1925) und einen Doktor-Ingenieur ehrenhalber (1928), die Universität machte ihn zu ihrem Ehrensenator (1930).

So zurückhaltend er sein Privatleben gestaltete, es insbesondere Dienstlichem unterordnete, so hatte seine Mitgliedschaft im RC Breslau für ihn eine „offenbar nicht geringe Bedeutung“ (Müller, S. 301). Er war dessen Mitbegründer 1930, und es wird angenommen, dass eine Reihe seiner inländischen Kontakte, sein vielfältiges internationales Engagement, auch die Wahl seiner Urlaubsziele großenteils durch rotarische Verbindungen bestimmt oder beeinflusst wurden. Wagner war Mitglied der Fortschrittlichen Volkspartei (seit 1917: Deutsche Demokratische Partei) und schlug wiederholt Angebote für Kandidaturen zu Land- bzw. Reichstagswahlen aus. Er war ein gläubiger evangelischer Christ und machte in Breslau, der Stadt mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands, keinen Hehl aus seiner eindeutigen Haltung gegen jede Art von Antisemitismus. Als er im Januar 1931 für weitere zwölf Jahre als Oberbürgermeister in seinem Amt bestätigt wurde, litt Breslau unter überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit; die Zahl der NSDAP-Wähler stieg. Die Angriffe der nationalsozialistischen Presse wurden nach der „Machtergreifung“ massiver bis hin zu konstruierten Behauptungen über Veruntreuung und Denunziationen. Am 24. März 1933 wurde Wagner von den Nationalsozialisten als Oberbürgermeister „zeitweilig beurlaubt“ und abgesetzt. Um seiner drohenden Inhaftierung zu entgehen, flüchtete er zu seiner Mutter nach Apolda und zog offiziell im April 1934 mit seiner Familie nach Jena; auch seine Kinder wurden angefeindet. Zugleich versteckte er selbst sich im Schloss Großburg (Kreis Strehlen/Schlesien), bis er im Juli 1934 die feste Zusage erhielt, den Vorsitz der kleinen, aber völlig unabhängigen „Stiftungssparkasse zu Jena 1833“ zu übernehmen, einem Ehrenamt ohne Bezüge; den Nationalsozialisten gelang es nicht, ihm sein Ruhegehalt zu kürzen. Wegen „abträglichen Verhaltens gegenüber den Interessen der Wehrmacht“ wurde er im März 1940 verhaftet, kam dank Unterstützung seines ältesten Sohnes, der inzwischen Jurist war, nach einigen Tagen wieder frei. 1944 wurde er wegen widerständigen Verhaltens erneut verhaftet. Sein jüngster Sohn fiel im Januar 1945 in Italien, der älteste wurde im Februar mit seiner Familie in Dresden ausgebombt, ein Schwiegersohn fiel 1940 in Frankreich.

Das Wagner nach der militärischen Besetzung von Jena durch amerikanische Truppen im April 1945 angetragene Amt eines Oberbürgermeisters lehnte der 67-Jährige zunächst aus gesundheitlichen Gründen ab und übernahm lediglich die Funktion des Stadtkämmerers. Im Mai war er dann doch bereit, kommissarisch als Oberbürgermeister von Jena zu fungieren und suchte sich selbst einen Nachfolger, dem er dieses Amt zwei Monate später übergab; inzwischen hatten die Amerikaner die Besatzungsherrschaft über Thüringen der Roten Armee überlassen.

Wagner trat der im Juli 1945 in der SBZ gegründeten Liberal-Demokratischen Partei bei, engagierte sich noch Anfang der 1950er Jahre auch überregional. Da er in der SBZ keine Versorgungsbezüge als ehemaliger Oberbürgermeister von Breslau erhielt, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Mitarbeiter des Rechtsamt der Stadt Jena, seit Juni 1946 als Verwaltungsrechtsrat. Nachdem die Stiftungssparkasse im September 1947 mit der städtischen Sparkasse fusioniert werden musste, verlor dieses Aufgabe. Als 1954 sein schmales Einkommen als kommunaler Angestellter wegfiel und der inzwischen 77-Jährige eine ihm angebotene Funktion in Berlin nicht mehr annehmen konnte und wollte, nahm er eine Stelle als Mitarbeiter des Stadtarchivs Jena an.

Seine Kinder in der Bundesrepublik besuchte Wagner, aber er blieb Jena verbunden und wollte nicht flüchten. In Anerkennung seiner Verdienste bemühte der Jenaer Oberbürgermeister sich bei der Regierung um eine Sonderrente für Wagner. Diese wurde ihm zwar nicht gewährt, weil er nach DDR-Recht nicht als Opfer oder Verfolgter des Nationalsozialismus galt. Anlässlich seines 80. Geburtstages machte die Stadt Jena ihn 1957 zum Ehrenbürger und bewilligte eine kleine Ehrenrente.

© empfohlene Zitierweise: Hermann Schäfer / Oliver Werner, „Otto Wagner“, in: Rotary unter dem Nationalsozialismus. Digitales Gedenkbuch diskriminierter Rotarier [Onlinefassung Stand August 2023]
https://memorial-rotary.de/members/1146

Dr. jur. Otto Wagner